Als am 15. März 1948 der Kindergarten der Kirchengemeinde St. Andreas eröffnet wurde, war es ein Start mit vielen Hindernissen. Da waren einmal die nicht gerade kirchgerechten Räumlichkeiten in 2
Wohnungen in der Fuhsestraße 2, im Abschnitt 1, wie man seinerzeit dieses Wohngebiet noch nannte. Diese Räume wurden nach Fertigstellung und Bezug der Wohnhäuser auf Betreiben der
damaligen Reichswerke als provisorischer Kindergarten eingerichtet.
Ein genauer Zeitpunkt für die Inbetriebnahme war nicht zu ermitteln, vermutlich geschah dies in den Jahren 1941/42. Unterstellt
war der Kindergarten der NSV (Nationalsozialistisch Volkswohlfahrt). Ziel dieser Organisation war es, im ganzen damaligen Reichsgebiet neue Kindertagesstätten zu errichten und die bereits Vorhandenen zu übernehmen, damit weibliche Arbeitskräfte für die Kriegsproduktion freigesetzt werden konnten.
Diese Ära endete mit dem Kriegsschluss 1945. Diese Räume müssen bei der
Übernahme durch die Kirchengemeinde in einem traurigen Zustand gewesen sein. „So fehlten das
gesamte Mobiliar und die Fensterscheiben“ heißt es in einem Zeitungsbericht. Die Beschaffung der
Einrichtungsgegenstände in dieser Zeit, kurz vor der Währungsreform, bereitete größte
Schwierigkeiten. Desgleichen auch der Lebensmitteleinkauf für die 40 Kinder, die zu betreuen waren.
Vom damaligen Ernährungsamt genehmigte Sonderzuteilungen stellten sicher, dass eine warme
Mahlzeit für die Kinder zubereitet werden konnte. Nach der Währungsreform verbesserten sich die
Verhältnisse nach und nach. Es gab zusätzliche Räume und auch im Garten hinter dem Haus wurde
ein kleiner Kinderspielplatz eingerichtet. Nach dem schon erwähnten Zeitungsbericht wurden 1960
85 Jungen und Mädchen, meistens ganztägig, von einem 7-köpfigen Personal betreut. Trotz der
allmählichen Verbesserung der Verhältnisse war die Unterbringung nur ein Provisorium. So mussten
z. B. – wie mir die in den Jahren 1953 – 1957 als Kinderpflegerin tätige Frau Inge Westling berichtete
– die Kinder auf dem Dachboden des Hauses ihren Mittagschlaf halten. So blieb es nicht aus, dass der
Wunsch nach einem Neubau immer stärker wurde.
1963 wurde vom Kirchenvorstand grünes Licht
für einen Neubau im unteren Teil des Schul- und Pfarrgartens gegeben. Der Flachbau mit ca. 250 qm
Nutzfläche, geplant für 60 Kinder, konnte nach knapp 2 Jahren Bauzeit 1965 bezogen werden.
Parallel zu diesem Neubau wurde im nahegelegenen alten Schulhausbau ein Schlafraum für 40 Kinder
hergerichtet. Die Finanzierung dieser Baumaßnahme erforderte viele Zuschussanträge bei der Stadt
Salzgitter, dem Land Niedersachsen und verschiedener kirchlichen Institutionen.
Im Laufe der folgenden Jahrzehnte stellt sich heraus, dass auch dieser Neubau nicht mehr den
gestiegenen Erfordernissen entsprach. Dies betraf sowohl die Verwirklichung der neuen,
verbesserten pädagogischen Konzepte als auch die gesteigerte Nachfrage nach freien Plätzen. Aus
Kostengründen gab es für die Planungen die Auflage, dass die Bausubstanz des Flachbaues mit in die
neuen Bauüberlegungen einbezogen werden sollte. Das Baureferat der Landeskirche, in
Zusammenarbeit mit der Kindergartenleiterin Astrid Hoffmann, erarbeitete das neue Baukonzept,
das vom Kirchenvorstand und im August 1991 auch vom Bauordnungsamt der Stadt genehmigt
wurde. Planungsschwerpunkte waren der Aufbau eines Dachgeschosses mit Satteldach, in dem ein
weiterer Gruppenraum mit Nebenräumen untergebracht wurde und die Schaffung von
wirtschaftlichen Gruppenraumgrößen durch Erweiterung der vorhandenen Räume im Erdgeschoss, d.
h. dem Altbau. Auch die Sanitärräume erhielten dadurch eine Zuordnung. Mit dem Erweiterungsbau
taten sich neue Schwierigkeiten auf. Wieder waren viele Behörden und Institutionen zu überzeugen,
das Bauvorhaben mit Zuschüssen zu unterstützen. Ferner mussten der Kindergartenbetrieb für die
Bauzeit in ein anderes Gebäude verlegt werden. Mit dem Freizeitheim der Propstei in Lichtenberg
wurde das Ausweichquartier gefunden. Über 18 Monate, länger als erwartet, mussten die Kinder mit
Bussen nach und von Lichtenberg gebracht werden.
Im Juni 1993 war es dann soweit. Der neue Erweiterungsbau wurde im Rahmen eines Festaktes zur
Benutzung freigegeben. Heute besuchen im Durchschnitt 100 Kinder den Kindergarten, die von 10
Erzieherinnen, einschließlich Leiterin, in 4 Gruppen betreut werden. Weitere 5 Wirtschaftskräfte
(Koch- und Raumpflegepersonal) sorgen sich um das Wohl der Kinder. Annähernd die Hälfte sind
Migrantenkinder. Wegen der guten zentralen Lage des Kindergartens besteht eine Wartelist für
freiwerdende Plätze, die z. Zt. 70 Wünsche umfasst.
Die mehrfachen räumlichen Veränderungen, denen sich der Kindergarten von St. Andreas stellen
musste, haben zum größten Teil ihren Ursprung in den positiven Veränderungen der Konzeptionen,
mit denen Kindergärten geführt werden sollen. Von der reinen Betreuungstätigkeit in den
Anfangsjahren des Kindergartens bis zum heutigen, zusätzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag, ist
es ein von vielen Experimenten geprägter Weg gewesen. Den Rahmen für diesen umfassenden
Auftrag legte das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Danach soll die Entwicklung des Kindes zu einer
eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden. Dabei sollen sich
die Angebote in den Bereichen Betreuung, Erziehung und Bildung pädagogisch und organisatorisch
an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern orientieren. Seit 2 Jahren gibt es einen „Orientierungsplan
für Bildung und Erziehung“ vom Kultusminister, der den Auftrag des Gesetzes mit Vorgaben ausfüllt.
So soll die sozial-emotionale Entwicklung der Jungen und Mädchen gefördert werden. Dazu gehörten
u. a. das aushandeln sozialer Regeln und deren Akzeptanz, die Achtung persönlicher Bedürfnisse und
Grenzen und der Umgang mit Konflikten. Alltagssituationen sollen dazu dienen, mit den Kindern
angemessene Verhaltensweisen zu besprechen. Ein weiterer Schwerpunkt in der Arbeit der
Kindertagesstätten ist die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten der Kinder und deren Freude am
Lernen. Dies soll beim Spiel oder anderen Formen kindgerechter Auseinandersetzung geschehen,
darf aber nicht eine Vorverlegung schulischen Wissenserwerb und Unterricht sein. Die Erkenntnis,
dass Kinder eine vielfältige Bewegungserfahrung als Anreiz für die körperliche und geistige
Entwicklung brauchen, findet ebenfalls in den Tagesablauf des Kindergartens Eingang. Schon lange
vorbei ist die Zeit, wo noch das Stillsitzen als Erziehungsziel galt. Zum Bildungsauftrag des
Kindergartens gehört auch das Sprechen lernen der Kinder. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil
in den Familien diese Lernleistung oft nicht mehr den gewünschten Stellenwert hat. Eine gezielte
Sprachförderung in deutscher Sprache erfahren die Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
Bei dem hohen Migrantenanteil kommt dieser Förderung mit 15 Wochenstunden eine große
Bedeutung zu. Der Wunsch der Leiterin des Kindergartens, Frau Hoffmann, diese Sprachförderung
zusammen mit den Eltern der Kinder durchzuführen, lässt sich leider aus räumlichen Gründen nicht
durchführen.
Kinder haben das Bedürfnis, sich an den Tätigkeiten der sie umgebenden Personen zu orientieren.
Dieses Nachahmungs- und Autonomiestreben mit vielen Facetten ist für die Lebenspraxis der Kinder
wichtig und wird auch im Kindergarten gefördert. Weiter gehört die Vermittlung von
mathematischen Vorläufer-Kenntnissen und Fähigkeiten und die ästhetische Bildung mit den
Kommunikationsformen Musik, Tanz und bildnerisches Gestalten zum Programm der heutigen
Kindergartenarbeit. Der Bildungsauftrag erstreckt sich auch auf die Begegnungen mit der Natur und
auf die Möglichkeiten zum selbstständigen Experimentieren, um ein naturwissenschaftliches
Grundverständnis zu erwerben. Da der Kindergarten St. Andreas eine evangelische Kindertagesstätte
ist, wird auch die religiöse Erziehung in den Kindergartenalltag integriert. Mit Gebeten, Liedern,
biblischen Geschichten mit aktuellem Bezug und Gottesdiensten werden die Kinder mit dem Glauben
vertraut gemacht. Obwohl die Kinder aus Migrantenfamilien meistens nicht einer christlichen
Religion angehören, kann dieser Erziehungsauftrag mit gegenseitiger Toleranz und Rücksichtnahme
vollzogen werden. Es ist für mich erstaunlich, wie im Alltag dieses Erziehungsziel ohne große
Probleme erreicht wird.
Dieser neu gestaltete Kindergartenalltag erfordert von den Eltern eine verständnisvolle Mitarbeit. Die
Anforderungen an die Leitung und die Erzieherinnen des Kindergartens sind erheblich gestiegen. Eine
ständige Fortbildung ist notwendig. Im Kindergarten der Kirchengemeinde St. Andras wird alles zum
Wohle der Kinder und zur Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsprozesses getan.
Reinhard Obst, Ortsheimatpfleger
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